SOZIALE Unruhen in der Schweiz
Bildrecherche und Text für swissinfo.ch zum Generalstreik 1918
Weltkrieg in den Nachbarländern, Spanische Grippe, Revolutionen, Armut — heute ist es schwierig, sich ein Bild von der Schweiz während des Generalstreiks zu machen. Wie uns Fotografien aus dieser Zeit weiterhelfen: Eine kleine Bildbetrachtung.
Ein Bild wirkt auf den ersten Blick wahrhaft: Als Beweis einer Tatsache, die eins zu eins abgebildet wird. Doch die Betrachtung einer Fotografie unterliegt stets unseren eigenen kulturellen Prägungen, Vorinformationen, Erwartungen.
Gerade historische Fotografien sind herausfordernd: Es fehlen Datierungen, Namen, Informationen. Die Suche danach ist nicht immer ganz einfach. Die Informationen zu diesen Fotos in verschiedenen Archiven gefunden und mit Hilfe von Fachleuten zusammenbekommen.
Was sehen wir?
Vierzehn Kinder mit Eimern in den Händen. Dunkle Strümpfe: Es könnte kalt sein. Die Gebäude sowie die Hausmauer aus grossen Steinquadern rechterhand lassen auf eine städtische Umgebung schliessen. Der verschmitzte Gesichtsausdruck vom Jungen in der Bildmitte gibt der Szenerie etwas Heiteres.
Was wissen wir?
Aufschluss über die Lebenswirklichkeit dieser Kinder gibt uns ein Bildkommentar des Zürcher Fotografen und Sozialforschers Roland Gretler (1937 – 2018), der mit “Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte” in Bildarchiv zur Arbeiterbewegung aufbaute. In einer Spezialausgabe der Schweizer “Wochenzeitung” vom 5. November 1998 schreibt er, dass er das Foto von 1917 in einem Umschlag mit der Aufschrift ‘Tante Emilie’ erhalten habe.
Über Tante Emilie konnte er kaum mehr in Erfahrung bringen, als dass sie als engagierte Sozialistin jeweils Suppe an die armen Kinder in Zürich verteilte. Gretler macht darauf aufmerksam, dass Soldaten damals einen Sold von 80 Rappen pro Tag erhielten, ohne Entschädigung für Lohnausfall.
Ein Bild spricht nie für sich selbst
Jetzt wird klar, warum ein solches Foto in einer Dokumentation zum Generalstreik erscheint: Während Industrielle mit Munitionsverkäufen an die Kriegsparteien grosse Gewinne machten, waren am Ende des Ersten Weltkriegs 700’000 Menschen in der Schweiz auf öffentliche Unterstützung wie verbilligte Abgaben von Lebensmittel angewiesen.
Ein Bild mag mehr als tausend Worte sagen, aber es spricht nie für sich selbst. Es braucht stets einen Kontext, um es richtig begreifen zu können.